Flensburger Dampf Rundum Juli 2013

Dampfer-Chilbi

Text und Bilder Stefano Butti

Dampferfans wissen es: Alle zwei Jahre findet im deutschen Flensburg an der Grenze zu Dänemark das Dampf Rundum statt. Ein einmaliges Erlebnis. Wir hoffen es bleibt uns noch lange erhalten.

Schnell ist man in Flensburg
Flensburg? Liegt das nicht irgendwo in Deutschland? Genau. Nördlich von Kiel, an der Ostsee im Inselgebiet zwischen Deutschland und Dänemark, sozusagen an der dänischen Grenze und gehört zum Bundesland Schleswig-Holstein. Von Zürich fliegt man in einer guten Stunde nach Hamburg, steigt dort in die S-Bahn zum Hamburger Hauptbahnhof und anschliessend in den Zug nach Flensburg, der nördlichsten Stadt Deutschlands. Weitere zwei Stunden später sitzt man bereits am Hafen bei einem Cappuccino und geniesst die Möwenschreie, die Museumswerft, die alten Schiffe und natürlich die Sonne die hier in der dänischen Südsee fast immer scheint, jedenfalls öfters als bei uns am Alpenrand. Uns Nautiker interessieren aber natürlich vor allem die Schiffe in dieser Gegend. Die massiv gebauten hölzernen Fischkutter und Segler, denen man ihre Seetüchtigkeit geradewegs ansieht. Aber auch die kleinen Ruderboote ebenfalls aus Eiche und Lärche gebaut. Sogar sie sehen hier irgendwie bodenständiger aus als bei uns, knuffiger, seetüchtiger. Und dann taucht da regelmässig auch ein grosser, schwarzer eiserner Rumpf auf. Er gehört zu einem alten Flensburger Fördedampfer, der „Alexandra“.

DS „Alexandra“, die Gastgeberin
Schön sieht sie aus mit ihrem schwarzen Rumpf wenn sie an der Pier liegt die „Alexandra“ - Link -von ihren Fans auch liebevoll „Alex“ genannt. Dass sie hier immer noch liegt ist einem Verein zu verdanken, 1975 wurde das Schiff nämlich ausser Dienst gestellt und sollte dem Schneidbrenner zugeführt werden. Glücklicherweise gelang die Rettung und heute dampft das maritime Schmuckstück regelmässig an den Wochenenden über die Flensburger Förde. Die „Alex“ wurde 1908 erbaut und misst 36.95 Meter in der Länge bei einer Breite von 7.17 Meter. Die Antriebsleistung von 420 PS wird von einer 2 Zylinder Compound Dampfmaschine erbracht, welche den benötigten Betriebsdruck von 8 Bar von einem Zylinderkessel mit 2 Flammrohren bezieht. DS Alexandra ist nicht nur wunderschön mit viel Holz ausgebaut, sie besticht vor allem durch ihren maritimen, gemütlichen Charme und das freundliche, engagierte Personal. Insbesondere der Kapitän hat immer einen lockeren Spruch auf Lager und besticht nicht nur durch seine professionelle Fahrweise, sondern kann auch äusserst gelungene Karikaturen zeichnen. Dieses Schiff ist ein Erlebnis. Allein dafür lohnt sich eine Reise nach Flensburg.

DS „Schaarhörn“, eine alte Bekannte
Aus der gleichen Schiffswerft (Janssen & Schmilinsky, Hamburg) und sozusagen gleichzeitig gebaut, kommt die „Schaarhörn“, extra aus Hamburg für das Dampf Rundum angereist. Die „Schaarhörn“ mit ihrem weissen Rumpf ist ein sehr gepflegtes Schiff. Kein Messingteil an Bord welches nicht mit der Sonne um die Wette strahlt, kein Kohlestäubchen welches an Deck herumliegt, auch die Crew macht mit ihren schmucken Uniformen ihrem Schiff alle Ehre. Dieses Schiff hat eine bewegte Vergangenheit. Als Behördenschiff für den Hamburger Senat gebaut, kam das Schiff nach Schottland und wurde dort halb zerfallen von einem Hamburger Kapitän entdeckt und wieder zurück in die Hansestadt gebracht. Ein Arbeitslosenprojekt machte den alten Dampfer wieder seetüchtig und ein Verein kümmert sich seither um die erfolgreiche Vermarktung des Schiffes. Dank meinem Kollegen Ueli aus der Crew des kleinen DS „Geordie“ vom Zürichsee, haben wir alle einen sehr guten Draht zur „Schaarhörn“. Das ehemalige Peilschiff von der Elbe ist mit seinen zwei Maschinensätzen übrigens für Technikinteressierte äusserst interessant.

Die Eisbrecher-Zwillinge sind die Stars
Wer kennt sie nicht, die beiden grossen Eisbrecher „Stettin“ aus Hamburg und „Wal“ aus Bremerhaven - Link. Zwei richtig dicke Seeschiffe wobei die „Wal“ fünf Jahre jünger ist und ihre Wasserrohrkessel mit Öl anstatt Kohle gefeuert werden. Auf der „Stettin“ wird noch Kohle in sechs hungrige Feuerlöcher geschaufelt, je drei Flammrohre pro konventionellem, schottischem Schiffsdampfkessel. Die „Stettin“ verkörpert sehr gut die Arbeitswelt eines Seemanns auf einem alten Seeschiff und man kann sich bildhaft vorstellen, wie es vor hundert Jahren sein musste, als die Heizer mit ihren schwarzen Gesichtern tagelang Kohle schaufelten und Asche zogen, während die Passagiere in der ersten Klasse an ihrem Brandy nippten oder eine Tasse Tee genossen. Dabei sind die beiden Eisbrecher gar nicht mal so alt. DS „Stettin“ mit Baujahr 1933 und „Wal“ mit Baujahr 1938 verkörpern bereits das Ende der Dampfschifffahrt und wurden wahrscheinlich insbesondere wegen des riesigen Drehmomentes von Kolbendampfmaschinen, welches bei einem Eisbrecher ja immens wichtig ist, mit einer ebensolchen Antriebseinheit ausgerüstet.

Die zwei kleinen Dänischen Dampfer „Björn“ und „Skelskör“
Extra aus dem nahen Dänemark angereist, sind die beiden Dampfer „Björn“ und „Skelskör“ - Link. Die zwei kleinen aber sehr hübschen Schiffe bestechen durch einen besonders gemütlichen Charme, wobei sicher auch der etwas weniger perfekte Auftritt der Crew und die etwas weniger gepflegte Erscheinung des Fahrzeugs dazu beitragen. Dem Besucher wird dadurch wieder bewusst, dass es sich bei allen teilnehmenden Fahrzeugen, seien es Schiffe, die Dampflok des Museumszuges, oder die Lokomobile und Dampftraktoren, welche im hafennahen Industriegelände ausgestellt sind, um Museumsfahrzeuge handelt. Alte Industriedenkmäler, welche von Vereinen getragen und von engagierten Mannschaften ehrenamtlich und mit viel Leidenschaft und oft sehr wenig Geld gepflegt und unterhalten werden. Umso sympathischer wirkt es dafür, wenn der Maschinist der „Skelskör“ in seinem dreckigen Blaumann auf dem Hochdruckzylinder seiner Maschine in einer speckigen Pfanne sein Spiegelei brutzelt. Dem Beobachter wird spätestens dann einmal mehr bewusst, dass es für die wirklich wichtigen und schönen Dinge im Leben manchmal sehr wenig braucht.

Tonnenleger Bussard aus Kiel
Auch kein allzu weiter Anreiseweg hatte die „Bussard“ aus Kiel - Link. Der rund 40 Meter lange und 8 Meter breite Tonnenleger wurde im Jahre 1906 in der bekannten Meyer-Werft in Papenburg an der Ems erbaut. Seit 2001 wird die „Bussard“ von einem Verein betreut und führt regelmässige Ausflugsfahrten in der Kieler Förde durch. Dampfer „Bussard“ ist ein echtes Arbeitsschiff und passt vom Erscheinungsbild durchaus zu den kleinen dänischen Dampfern, nicht jedes Messingteil blitzt goldig übertrieben und über dem Kessel hängen die nassen Kleider zum Trocknen.

Auch Motorschiffe gehören zum Dampf Rundum
Was viele nicht wissen: Beim Dampf Rundum treffen sich nicht nur Dampfschiffe. Auch Motorschiffe wie die alten Küstenmotorschiffe „Greundiek“ aus Stade an der Unterelbe oder „Samka“ aus Marstal in Schweden geben eine wundervolle nautische Kulisse ab. Heutzutage sind die alten Motorschiffe ja genauso zu Museumsschiffen geworden und interessieren eine immer grösser werdende Zahl von Liebhabern der ursprünglichen Dieseltechnik. Eine Dampfmodell-Ausstellung im Flensburger Schiffsmuseum fasziniert vor allem die jüngeren Besucher des Festes und die kleinen Dampfboote stellen die Bootsverbindung zum Industriepark sicher, wo alte Dampftraktoren und Lokomobile um die Wette rauchen. Zurück zum Hafengelände gelangt man auf dem Wasserweg mit dem alten Lotsenboot „Marxen“ und auf dem Landweg mit dem Dampfzug. Neben den zahlreichen Dampfern bietet auch die „Flensburg“, ein alter Bugsierschlepper aus dem Hamburger Hafen welcher heute in Glücksstadt und ab nächstem Jahr neu in Flensburg stationiert ist, Rundfahrten auf der Förde an. Überhaupt ist die Gegend landschaftlich sehr schön und die langen Buchten und Meeresarme der Ostsee erinnern ein bisschen an unsere Alpenseen. Vielleicht deshalb trifft man doch immer wieder ein bekanntes Gesicht vom Zürich- oder Greifensee, oder einem anderen Schweizer Gewässer am Dampf Rundum.

Das Dampferrennen
Offiziell beginnt das Dampf-Rundum am Freitag mit einem Dampferrennen. Ab 18.30 Uhr sind die Schiffe zum Einsteigen bereit, um 19.00 wird abgelegt. Nach einer gemeinsamen Ausfahrt wird am Eingang zur Flensburger Förde, also sozusagen mit dem Heck gegen die offene Ostsee, die Startlinie bezogen. Sämtliche Schiffscrews sind nun auf Ihrem Posten. Die Heizer schaufeln was das Zeug hält und würzen die sonst gesunde Ostseeluft mit Russ und Rauch. Die Spannung steigt. Die Nadeln der Kesselmanometer zeigen auf den roten Strich oder sind sogar schon leicht darüber wenn der Startschuss fällt. Es geht los! Nun lassen die Maschinisten Dampf einströmen, soviel dass schier die Zylinder platzen. Im Maschinenraum der „Stettin“, meinem Aufenthaltsbereich während des Rennens, spürt man buchstäblich jeden Knochen in seinem Körper. Das Stampfen der Maschine geht durch Mark und Bein. Die 2200 Pferdestärken rumoren im ganzen Schiff, die Expansion des Wasserdampfes bewegt die Zylinderdeckel auf und ab als ob die Maschinenzylinder atmen würden, ein absolut unglaubliches und einmaliges Schauspiel. Die Maschine dreht an Ihrer Belastungsgrenze, nicht auszudenken was passieren würde wenn jetzt ein Bauteil nachgeben würde, es wäre hier unten wohl die Hölle los. Kein verantwortungsbewusster „Chief“ lässt dies länger als 10 Minuten zu. Braucht er auch nicht, die 10 Minuten reichen voll und ganz, „Stettin“ liegt an der Spitze, dicht gefolgt von „Schaarhörn“. Der wirkliche Sieger des Rennens wird allerdings erst später mit einer sehr komplizierten Formel bestehend aus Anreiseweg des Dampfers in Seemeilen, multipliziert mit dem Alter und der Schuhgrösse des jeweiligen Kapitäns, sowie weiterer Faktoren ermittelt. Es ist dieses Jahr der kleine Dampfer „Björn“ welcher zum ersten Mal am Dampf-Rundum teilnimmt. Er wird zum Sieger des Dampferrennens gekürt.

Das Dampferfest geht zu Ende
Das langsame Ende des Dampferfestes gleicht einem „ausplemperlen“. Dieses gestaltet sich aber absolut passend zum Fest. Nach drei Tagen Dampferchilbi, mit fulminantem Start am Freitag in Form des Rennens und zwei Tagen Rundfahrten auf verschiedenen Schiffen unter Dampf und Motor, Besichtigung von Museen und Werften, Modellen und Lokomotiven, Bratwurstständen, Verkaufsbuden und sonstigem Verpflegungsangebot mit und ohne Dampf, geht der mittlerweile müde Besucher ein letztes Mal an die Dampfermeile wo die Hauptattraktionen ein letztes Mal ablegen. Die Schiffe von weit her gehen zuerst, die „Wal“ oder die „Björn“, oder die Schiffe mit tidenabhängigen Häfen, die „Greundiek“ welche die Schwinge hinauf nach Stade muss, DS „Alexandra“ wird bleiben und den Dampferhafen Flensburg bewachen. Jedes auslaufende Schiff wird mit einem melancholischen Heulen und Pfeifen verabschiedet, der bewölkte Himmel passt zur Szenerie. Es war einfach schön hier. Einmal mehr sogar sehr schön im hohen Norden, bei den Nordlichtern an der dänischen Grenze. In zwei Jahren bin ich wieder dabei. Ganz sicher!



Begriffe:
Fördedampfer:
Ein Dampfer welcher auf der Flensburger Förde eingesetzt wird. Eine Förde ist ein vom Gletscher gegrabener Meeresarm an der deutschen Ostsee (Kieler Förde, Flensburger Förde). Das norwegische Wort dafür ist „Fjord“.

Hansestadt: Heutzutage in der Regel eine andere Bezeichnung für Hamburg. Im Mittelalter ein nordischer, allerdings recht freier Städtebund welcher den Handel kontrollierte. Die Hansestädte (z.B. Hamburg, Bremen, Lübeck, Danzig, Bergen, Brügge) wurden von Kaufmännern dominiert und brachten sogar einen eigenen Schiffstyp, die Hansekogge hervor.

Wasserrohrkessel: Ein Dampfkessel welcher den Dampf durch eine Vielzahl von wasserführenden Rohren erzeugt. Das Feuer erhitzt die Wasserrohre und der Dampf sammelt sich im obersten, dickeren Rohr. Ein Wasserrohrkessel hat viel weniger Wasserinhalt und ist deshalb schneller Betriebsbereit und durch den kleineren Inhalt auch sicherer als ein herkömmlicher Rauchrohrkessel. Der Nachteil ist die fehlende Dampfreserve bei einem unregelmässigem Verbrauch oder einem Nachlassen der Feuerungsleistung.

Schottischer Schiffsdampfkessel: Auch Zylinderkessel. Der Schottenkessel wurde in Schottland entwickelt und heisst deshalb so. Es handelt sich hierbei um einen konventionellen Dampfkessel in Zylinderform mit eingelassenen Flammrohren und Rauchrohren. Im Gegensatz zum Wasserrohrkessel wo das Feuer rund um die wasserführenden Rohre brennt, ist beim Schottenkessel also sozusagen das Feuer in den Rohren drin welche vom Wasser umgeben sind. Der Zylinderkessel hat einen grossen Wasserinhalt und deshalb eine grosse Dampf- und somit Energiereserve.

Tonnenleger: Behördenschiff für das Verlegen sowie die Wartung und Instandhaltung von schwimmenden Seezeichen (Tonnen).

Bugsierschlepper: Sehr wendiger Hafenschlepper, welcher für die Manövrierhilfe von grossen Schiffen in den Häfen verwendet wird und vorzugsweise an der Bordwand des grossen Seeschiffes in eine Richtung drückt (bugsieren = stossen, mit dem Bug drücken).

Der Chief ist der Chefmaschinist, also der Leiter der Maschinencrew. Er ist verantwortlich für die gesamte Technik an Bord.

Compound-Dampfmaschine: auch Verbundmaschine. Eine Kolbendampfmaschine welche die Dampf-Energie in mehreren Schritten nutzt. Der Hochdruckzylinder arbeitet mit dem Dampf direkt aus dem Kessel, der Mitteldruckzylinder mit dem Abdampf des Hochdruckzylinders, der Niederdruckzylinder mit dem Abdampf des Mitteldruckzylinders. Weitere Erklärungen unter Bericht zum Hamburger Hafengeburtstag.

Drehmoment: Masseinheit Newtonmeter. Das Drehmoment ist eine physikalische Grösse der Bewegungskraft in der Mechanik und spielt für eine Drehbewegung die gleiche Rolle wie die Kraft für eine geradlinige Bewegung. Eine Maschine mit einem hohen Drehmoment hat also sozusagen aus dem Stand heraus eine grosse Kraft. Eine Dampfmaschine erbringt beispielsweise in der ersten Umdrehung bereits einen Grossteil ihrer Leistung. Deshalb werden Radschiffe, welche viel Kraft aus dem Stand heraus, also ein grosses Drehmoment brauchen um ihre Räder in Bewegung zu setzen, vorzugsweise mit Dampfmaschinen angetrieben.

Das Lokomobil ist ein Dampfkessel auf Rädern mit einer darauf angebrachten Maschineneinheit und wurde früher vor allem in der Feldarbeit verwendet oder überall dort wo eine transportable Dampfmaschine gebraucht wurde. Die Antriebsenergie wurde vom Schwungrad mit einem Lederriemen abgenommen. Das Lokomobil konnte nicht selber fahren sondern wurde von Pferden oder einem Traktor an seinen Einsatzort gezogen. Es sah ähnlich aus wie eine Dampflok, deshalb Lokomobil.

10.08.13.S.B.