Zephyr Burgund Mai 2013

Wasser von allen Seiten

Hafenschlepper „Zephyr“ will in den Süden

Text und Bilder Stefano Butti

Ein verregneter Mai lässt den alten Schlepper „Zephyr“ vom mediterranen Klima träumen. Sein Skipper Hans und Matrose Stefano fahren mit dem Oldtimer auf dem Canal du Rhone au Rhin ins Burgund, der Sonne entgegen. Doch das Hochwasser im Doubs zwingt den „Zephyr“ zur Umkehr.

Wir schreiben den 15. Mai im Jahre des Herrn 2013. Die Menschheit ist zwar froh und dankbar, dass unser Planet den Weltuntergang überlebt hat, dass es aber dauernd nur noch regnet ist nun doch etwas hart. Das alte holländische Schleppboot „Zehpyr“ müsste nämlich dringend wieder mal etwas Sonne auf seinem alten Eisenblech spüren, die neue Farbe ist noch nicht ganz trocken und wird es definitiv auch nicht, bei diesem Wetter und diesen Temperaturen.

Skipper Hans Baumann beschliesst darum, der Sonne entgegen zu fahren und fragt mich an, ob ich Zeit und Lust hätte den Canal du Rhone au Rhin hinunter zu fahren bis nach Chalon sur Saone oder sogar noch etwas weiter bis in die Rhone. „Selbstverständlich Hans“ und schon ist mein Vorsatz, in meinen Ferien das Haus auf Vordermann zu bringen, die Fensterläden zu streichen und den Garten etwas ansehnlicher zu gestalten, in weite Ferne gerückt und ich bin auf dem Weg nach Dannemarie in Frankreich. Das kleine Städtchen Dannemarie liegt am Rhein-Rhone-Kanal und sein Hafen ist so etwas wie der westlichste Vorposten des Schweizerischen Schleusenschifferclubs, gemeinhin auch als Regiogruppe Bàle-Ouest bekannt. Herzlich werde ich empfangen. Man kennt sich hier. Hardy und Trudi, Dominique und Urs, auch Surlis genannt, oder Daniel und natürlich auch der „Housi“ oder Hans, sie alle besitzen ein stolzes Schiff in diesem schönen Hafen unweit der Schweizer Grenze. Hans Baumanns ganzer Stolz ist der „Zephyr“, ein alter holländischer Schlepper für Binnengewässer.

Das Reiseschiff
Schleppboot Zephyr ist mit seinen knapp 15 Meter Länge ein eher kleines Fahrzeug und geht im Gegensatz zu anderen Schiffen im Hafen von Dannemarie deshalb auch noch als Sportboot durch den Behördendschungel. Auf dem 4 Meter breiten Schiff lässt es sich aber dennoch sehr gut leben. Rund ein Drittel des Rumpfes wird vom Maschinenraum eingenommen. In den vorderen zwei Dritteln sind ein Aufenthaltsbereich inklusive Badezimmer, sowie zwei Schlafkammern untergebracht. Die vordere Kabine ist mein Reich, in der hinteren ist der Kapitän und Reeder zu Hause, bzw. in der Binnenschiffersprache heisst das korrekterweise der Schiffsführer und Eigner. Über dem Ganzen steht an Deck das rundum verglaste Steuerhaus, welches auch die Küche beinhaltet. Das Schiff wird in einem anderen Beitrag detailliert beschrieben weshalb dies hier nicht noch einmal geschehen soll und wir uns stattdessen der Reise und dem Französischen Kanalsystem widmen wollen.

Die Kanäle Frankreichs
Vor allem im 19. Jahrhundert wurde unter Kaiser Napoléon III und dem von ihm beauftragten Minister Charles de Freycinet der grösste Teil des französischen Kanalsystems erbaut, bzw. die bereits bestehenden und im 17. und 18. Jahrhundert erbauten Kanäle erweitert. Damals gab es noch keine Lastwagen, die Kanäle waren die schnellen Transportwege dieser Zeit und Schiffe (Französische Péniche, 38 x 5 Meter, 300 Tonnen) beförderten die Waren zuverlässig über weite Strecken durch das grosse Land. Bis heute werden Güter noch über Wasser transportiert, wenn auch die kleinen Kanäle mittlerweile nur noch für die Sportschifffahrt oder den Tourismus verwendet werden. Einer dieser Kanäle ist der Canal du Rhône au Rhin, wie der Name sagt die Verbindung vom Rhein zur Rhône bzw. von der Nordsee zum Mittelmeer. Heute kann man sich kaum vorstellen wie viel Energie und Geld in dieses Kanalsystem gesteckt wurde. Wie viel Blut, Schweiss und Tränen geflossen sein müssen, wie viel Hoffnungen und Enttäuschungen der Bau dieser Wasserstrassen verursacht haben muss. Tausende von Kanalkilometer wurden gegraben, in den Pioniertagen selbstverständlich noch ohne Bagger, Hunderte von Schleusen von Hand gemauert, Flüsse mit Kanalbrücken überquert, Berge mit Kanaltunnels untergraben, eine Meisterleistung biblischen Ausmasses und für uns heute kaum noch nachvollziehbar wie so ein Riesenwerk lediglich mit primitivstem Maschineneinsatz realisiert werden konnte. Heute dürfen wir die Kanäle für unsere Ferien nutzen und von dem was unsere Vorfahren erbaut haben profitieren. Wie zum Beispiel in Dannemarie am Canal du Rhône au Rhin, wo gerade das Motorschleppbot Zephyr auf Reisen geht.

Schleuse um Schleuse den Berg hinauf
Bereits noch in Dannemarie selber kommt die erste Schleuse. Eine Schleuse ist eine Kammer mit zwei Toren, welche in den Kanal eingebaut ist, diesen sozusagen zum Ausgleichen des Wasserstandes unterbricht. Also eine doppelte Staumauer. Wenn nun ein Schiff vom Tal her kommend eine Steigung zu überwinden hat, wird zuerst die untere Türe der Schleusenkammer geöffnet, also auf dieser Kanalseite, wo das Wasserniveau tiefer ist. In der Schleusenkammer selber ist nun der Wasserspiegel logischerweise auch auf dem tieferen Niveau. Nun fährt das Schiff in die Schleuse hinein und das hintere Tor, zum tieferen Teil des Kanals hin, wird zugemacht. Es bildet nun sozusagen das künftige Stauwehr. Vom höheren Kanalteil lässt man nun Wasser in die Kammer fliessen, welche sich nun füllt und das Schiff samt Ladung auf das höhere Niveau hebt. Sobald die Schleusenkammer vollständig gefüllt ist, sich also der Wasserstand an den höheren Kanalteil angepasst hat, kann das vordere, obere Schleusentor geöffnet werden und das Schiff seine Reise, nun einige Meter höher, fortsetzen. Beim Abwärtsschleusen funktioniert das Ganze einfach umgekehrt. Das Schiff fährt in die volle Kammer hinein, die Kammer wird geschlossen, das Wasser wird in den tieferen Kanalteil abgelassen, die Kammer wieder geöffnet und das Schiff kann, nun einige Meter tiefer, wieder weiterfahren. Nun ist sozusagen wieder das obere Schleusentor das Stauwehr. Eigentlich ganz einfach.

Die Schiffsmänner müssen natürlich einige Dinge beachten: Beim Aufwärtsschleusen die Leinen immer schön dichtholen, beim Abwärtsschleusen die Leinen schön fieren und keinesfalls klemmen. Dies ist allerdings leichter gesagt als getan. Beim Schwatz mit dem Schleusenwärter (oder der hübschen Schleusenwärterin) und demzufolge mutmasslicher Unachtsamkeit, hat schon mancher sein Schiff an den Leinen aufgehängt. In solchen Fällen hilft nur noch ein scharfes Messer oder Beil und Kenntnisse im Seile spleissen.

Bis nach Montreux-Chateau, dem höchsten Punkt des Kanals, folgen etliche solcher Schleusen. Eine richtige „Schleusentreppe“ gibt es hier. Die Eisenbahnlinie nach Belfort wird unterquert und eine Landstrasse muss bei jeder Schiffsdurchfahrt mittels Drehbrücke unterbrochen werden. In Montreux-Chateau findet der nach unzähligen Schleusenmanövern nun nicht mehr so energiegeladene Kanalschiffer dafür vorzügliche Liegeplätze mit Strom und Wasser; eine wirklich schöne Anlage inklusive Restaurant in Form einer stillgelegten Péniche.

Montbéliard im Dauerregen; und der Wendepunkt
Nun geht es wieder hinunter, Schleuse um Schleuse, sozusagen Richtung Mittelmeer. Wir haben die Wasserscheide überquert und das Wasser unter unserem Kiel fliesst nun nicht mehr in den Rhein und somit in die Nordsee, sondern in die Rhône. Landschaftlich ist die Gegend sehr schön. Mal führt der Kanal an einem Berg entlang, fast wie ein grosser Wanderweg aus dem Fels gesprengt, dann führt er mittels Kanalbrücke über einen Fluss, drei Schleusen später finden wir uns bereits in diesem Fluss wieder, welcher sich als Fliessgewässer mit Namen „Allan“ herausstellt, der Fluss der durch Monbéliard fliesst. Ein grüner Park mit vielen Blumen und exotischen Bäumen kündigt die nahe Stadt an und bereits sind wir mitten im Zentrum von Monbéliard. Eine wunderschöne, kleine Stadt mit viel kulturellem Angebot und grosser Geschichte. Als ehemalige deutsche Stadt ist in Monbéliard die würtembergische Tradition noch stark spürbar. Auch das Schloss der Grafen von Monbéliard, oder Mömpelgard wie sie früher noch hiessen, zeugt von der schwäbischen Vergangenheit und der Geschichte der Stadt. Auf einem Felsen thronend, hoch über den zwei Flüssen Lizaine und Allan, welche weiter südlich in den Doubs münden, bewacht dieses alte Gemäuer mit seinen Türmen sozusagen das Tor zum Burgund.

Leider lernen wir die Stadt fast ausschliesslich im Dauerregen kennen, schlendern durch die Gassen und besuchen das Musée Peugeot und die Kunstausstellung in der alten Burg. Beides ist hochinteressant. Bei Peugeot denken wir beispielsweise immer an die Automobile. Dabei hat Peugeot lange vor den Autos schon alles andere produziert, von Sägeblättern über Uhrenfedern und anderen Metallwaren bis zur Kaffeemühle. Vom Fahrrad über das Moped war schliesslich der Weg zum Auto die logische Konsequenz. Auch heute noch ist Peugeot der grösste Arbeitgeber in der Stadt.

Wieder daheim
Durch den Dauerregen ist der Doubs nun so angestiegen, dass eine gefahrlose Fahrt nach Besancon nicht mehr möglich ist. Der Pegel ist bereits 1.20 Meter über Normalwasserstand und die Strömung sehr stark. Skipper Hans entschliesst sich deshalb zur Umkehr. Der „Zephyr“ ist mit 35 Tonnen nicht gerade ein Leichtgewicht und die Maschine mit 95 PS Leistung nicht gerade ein Turbodiesel heutiger Generation; dies will heissen um Vollgas zu geben, benötigt der Schiffsführer schon einige Sekunden, das grosse Drehzahlrad am Steuerstand muss doch einige mal gedreht werden bis die Maschine ihre volle Leistung abgibt. Und auch dann sind 95 PS nicht gerade extrem viel, wenn die Strömung am bauchigen Schiffsrumpf zerrt! Vor der Schleuse wenden wir deshalb den Schlepper. Dies geschieht nur mit Hilfe von Leinen und der Hauptmaschine, auf jeder Kanalseite bleiben noch 30 cm Wasser. „Habt ihr keinen Bugstrahler?“, wird uns vom deutschen Motorboot zugerufen, welches uns seit Dannemarie begleitet. „Nein, ist im Moment leider defekt“. Aber kein Problem! Noch vor 20 Jahren hatten die wenigsten Schiffe ein Bugstrahlruder. Heute gehört dieses schon fast zur Standartausrüstung, dies wird heutzutage gern vergessen. Gemütlich tuckern wir wieder zurück Richtung Dannemarie, essen jeden Abend ein selbstgekochtes feines Menü und haben jede Menge Zeit zum Lesen und Pflegen der Maschine, freuen uns an der Natur und den zeitweiligen Sonnenstrahlen, welche der Himmel doch ab und zu auf den nassen Boden schickt. Ob Regen oder Sonnenschein, eine Reise mit dem alten Schlepper Zephyr und seinem Skipper Hans ist immer ein Erlebnis. Vielen Dank für die schöne Zeit.