Unterwegs mit einem alten Schleppboot

Mit 'Zephyr' auf dem Rhein



Text und Bilder Stefano Butti (aus der Zeitschrift „Bullauge“ der ZSG)

Im Herbst 2011 hatte ich Gelegenheit bei einer Reise auf dem Rhein ein 105-jähriges Schiff und seinen Skipper kennen und schätzen zu lernen. Gerne stelle ich Euch dieses besondere Schiff vor und erzähle von der Reise auf den Wasserstrassen im Elsass.

Der Basler Rheinhafen Kleinhüningen
Es begann an einem sonnigen Frühlingstag im Hafen Kleinhüningen. Ein Ausflug führte mich nach Basel und in den Rheinhafen, auf den Bernoulli-Silo mit seiner Aussichtsterrasse und in den „Rostigen Anker“ zum Kaffee. Der Duft der weiten Schifffahrts-Welt kann hier so richtig eingesogen werden. Was gibt es schöneres als an der Mole entlang zu spazieren und den verschiedenen Schiffen zuzusehen. Plötzlich erblickte ich ein selten schönes Exemplar. Ein alter Hafenschlepper mit schwarzem Rumpf und hölzernem Steuerhaus, welches von einem kleinen, runden Kamin knapp überragt wurde. Auf den roten Namensschildern prangte in weisser Schrift der Name „Zephyr“. Am Heck zeigte sich stolz die niederländische Nationalflagge, als Heimathafen war „Zwaartsluis“ angegeben. Im Steuerstuhl erblickte ich in der Person eines sanft lächelnden, älteren Herrn den mutmasslichen Meister dieses schmucken Wasserfahrzeugs.

Kein Holländer
„ Ich bin der Hans“, stellte er sich vor. Er fragte mich, ob ich gleich zum z’Mittag bleiben wolle: „ Es git Bärner Röschti“. Ziemlich verdutzt über den Berner-Slang dieses vermeintlichen Holländers, und noch verdutzter über die Essenseinladung, stotterte ich ein „Hallo, ja, sehr gerne“ heraus und bedauerte, dass ich nicht zufälligerweise eine Flasche Wein oder wenigstens einen Dessert in meinem Rucksack dabei hatte. Hans zeigte sich erfreut über den unerwarteten Besuch eines Schiffsinteressierten und fügte hinzu, dass er mir sehr gerne „seine Boot“ zeige, jetzt aber erst einmal etwas essen müsse, schliesslich sei schon fast 14 Uhr und er habe immer noch keinen z’Mittag gehabt. Meine Vermutung, dass es sich bei Hans Baumann um einen ehemaligen Rheinschiffer handeln musste, bestätigte sich mit dieser „Boot“-Ausdrucksweise: Kein normaler Landmensch würde von einem Schlepper als Boot, sogar noch mit weiblichem Artikel ergänzt als „die Boot“, sprechen, das macht man meines Wissens nur auf dem Rhein. Diese Begegnung jedenfalls war der Beginn einer tollen Freundschaft.

Motorsleppboot „Zephyr“
Nach dem Essen wurde die „Zephyr“ besichtigt. Insbesondere natürlich der Maschinenraum. Ich flippte fast aus. Ein alter Hamburger namens Carl Jastram mit drei Zylindern leistete hier seinen Dienst. Eine Supermaschine. Baujahr 1935. Archaischer Dieselmotorenbau. Keine Zylinderköpfe, keine Laufbüchsen. Die Zylinder sind als ganzes Stück mit je 4 Zuganker auf das Kurbelwellengehäuse geschraubt. Eine untenliegende Nockenwelle steuert über Stösselstangen und Kipphebel die Ventile, welche bei einer Revision direkt samt Sitz nach oben ausgebaut werden müssen. Die Tropföler auf den Kipphebeln und der Kühlwasserpumpe, wie auch die diversen Staufferbüchsen, erinnern irgendwie an eine Dampfmaschine. Der Motor wird mit Druckluft angelassen wobei Zylinder Nr. 1 gleichzeitig als Anlasser fungiert. Das Anlassventil kommt allerdings ganz ohne komplizierte Mechanik aus. Es besteht aus einem schlichten, handbedienten Kugelhahn, welcher kurz geöffnet und danach sofort wieder geschlossen werden muss, da ansonsten der abwärtsbewegende Kolben logischerweise wieder gebremst würde. Vor dem Starten muss vorgeschmiert und geschaltet, also der Öldruck mittels Handpumpe aufgebaut und die Maschine anschliessend vorgedreht werden. Zusätzlich wird gleichzeitig noch der richtige „Startpunkt“ eingestellt. Der erste Zylinder muss dabei ganz oben und somit seine beiden Ventile geschlossen sein. Ganz oben und über dem Totpunkt! Ansonsten läuft die Maschine Rückwärts was auch schon passiert ist, die Verbrennungsluft wurde also durch den Kamin angesaugt und die Abgase in den Maschinenraum ausgestossen. Eine riesige Stinkerei und Aufregung wie man sich unschwer vorstellen kann. Die Druckluft für den Startvorgang wird im Kompressor, welcher von einem alten Lister Einzylinder-Motor mit Handkurbelstart angetrieben wird, hergestellt. Zwei Druckluftflaschen speichern die auf 24 Bar komprimierte Luft welche für ca. 8-10 Starts reicht.

Aber auch die alte „Zephyr“ selber, mit Baujahr 1907 noch aus der Dampferära, wartet mit verschiedenen Highlights auf. Der Aufenthaltsbereich befindet sich sozusagen an Deck, im Steuerstuhl, wo Hans Baumann eine komfortable Küche eingebaut hat. Hier wird gegessen und das Geschehen im Hafen oder auf dem Fluss beobachtet und gegebenenfalls kommentiert. Zudem ist die Kaffeekanne nicht weit weg vom Steuermann wenn das Schiff auf Fahrt ist. Ein praktischer Umstand, wie wohl alle Schiffsleute aus eigener Erfahrung wissen. Unter Deck befinden sich ein Salon mit gemütlichem Holzofen, Sofa und Leseecke, ein Badezimmer mit WC/Dusche, sowie zwei Schlafzimmer mit Waschbecken und je zwei Kojen. Im Salon ist zusätzlich eine fünfte Notkoje vorhanden, wobei lediglich der Name auf ein kleines Bettchen schliessen lässt, in Tat und Wahrheit hat mein Bruder in diesem Notbett nach seinen eigenen Angaben himmlisch geschlafen und konnte beide Füsse strecken. Viel Schrank- und Stauraum in jeder Ecke runden das Platzangebot ab. Alles in allem also eine durchaus komfortable Angelegenheit und für längere Reisen perfekt gerüstet.

Eine Flussreise
Eine solche Reise durfte ich im Oktober 2011 mitmachen. Vom kleinen Städtchen Dannemarie, am Canal du Rhone au Rhin, ging es via Mulhouse und Niffer-Kanal in den Rhein, dann nach Strassbourg und Colmar durch ein noch ursprüngliches Überbleibsel des alten Rhein-Rhone Kanals aus napoleonischer Zeit, und den Rhein wieder hinauf nach Basel. Es gab natürlich sehr viel zu sehen, gutes Essen, schöne Erlebnisse in geschichtsträchtigen Ortschaften. Als ein längerer Aufenthalt wert durften sicher die Städte Strassbourg und Colmar bezeichnet werden. Aber auch eine besondere Übernachtung im Oberwasser der Schleuse Fessenheim, mit Blick auf das Kernkraftwerk war mit einem Hauch von Industrieromantik ein besonderes Erlebnis. Vom verträumten Ankerplätzchen im Grünen bis zum urbanen Stadthafen, von der Selbstbedienungsschleuse bis zu den grossen Stauwehren im Grand Canal d’Alsace, war auf dieser Reise alles dabei. Kurzum ich könnte noch mindestens zwei oder mehr Seiten lang schreiben. Dies dürfte den Rahmen eines Artikels für unsere nautische Abenteuer-Seite nun aber definitiv sprengen. Auf jeden Fall aber durfte ich ein wunderbares Schiff und einen sehr interessanten und liebenswerten Menschen kennenlernen. Ich freue mich bereits heute auf die nächste Fahrt mit dem alten Schleppboot Zephyr und seinen Skipper Hans Baumann, den ehemaligen „Schmelzer“ vom Rhein.


Das Schiff
Name und Typ Zephyr, Schleppboot, registriert im Schiffskataster Rotterdam
Länge 15 MeterBreite 4 Meter
Tiefgang 1.35 m
Gewicht 35 Tonnen
Maschinenleistung 95 PS
Weitere Informationen: www.schleppboot-zephyr.ch

Der Eigner
Hans Baumann, geboren 1945, machte eine Lehre als Rheinmatrose. Aus gesundheitlichen Gründen gab er seinen Beruf auf, wurde Fotograf mit eigenem Atelier und Dozent an der Kunstgewerbeschule Bern-Biel. In seiner Freizeit segelte er (und tut dies auch nach wie vor wenn er nicht auf seinem Schiff ist) auf dem Thunersee und in den Ferien auf See. Nach Seiner Pensionierung fuhr er mit einem 4 Meter langen Ruderboot mit Motor (englische Launch aus Holz) den Rhein hinunter bis nach Rotterdam wo er den alten Schlepper „Zephyr“ entdeckte.

Begriffe:
Bernoulli-Silo:
Hans Bernoulli (1876 – 1959) war ein Schweizer Architekt und Städteplaner. Seine „Arbeiterhäuser“ sind weltbekannt und stehen in Zürich und Winterthur unter Dankmalschutz. In Basel baute er 1923 für die Schweizerische Reederei AG den ersten Getreidesilo der Schweiz, welcher auch über eine Aussichtsterrasse verfügt.

Steuerstuhl: Ein anderes Wort für Steuerhaus. Wurde früher auf dem Rhein verwendet.

Zuganker: Im Zusammenhang mit Maschinenbau: Eine grosse, dicke Schraube die viel Energie insbesondere auf Zugkräfte aufnehmen kann.

Nockenwelle: Eine Metallwelle mit einseitigen Verdickungen welche bei Drehbewegungen durch diese Nocken die Ventile des Motors steuert.

Stösselstangen: Metallstange welche durch die einseitige Verdickung der Nockenwelle eine Auf- und Ab-Bewegung ausführt und diese vom unteren Teil des Motors zum Kipphebel auf dem oberen Teil des Motors (Zylinderkopf) überträgt.

Kipphebel: Einachsig gelagerter Hebel welcher die Auf- und Ab-Bewegung der Stösselstange, welche aussen am Zylinder angebracht ist, auf das Ventil überträgt, welches
genau über dem Kolben auf der Zylinder-Oberseite angebracht ist.

Tropföler: Vertikal montiertes, mit Öl gefülltes Glasgefäss welches seinen Inhalt durch eine Nadeldüse tröpfchenweise abgibt. Die einzelne Tropfenabgabe kann durch ein Glasröhrchen beobachtet und kontrolliert werden.

Staufferbüchsen: Ein Fettschmiergefäss (Büchse = Gefäss in Zylinderform, einseitig offen) welches mit einem Innengewinde versehen ist und durch Drehen (aufschrauben, anziehen) auf den Schmiernippel gepresst wird. Wurde von Ing. Stauffer erfunden, deshalb der Name.

Totpunkt: Wenn die Kurbel ganz oben oder ganz unten ist, steht sie im Totpunkt. Kolben, Kolbenstange, Pleuelstange und Kurbel bilden eine Linie, die vertikale Bewegung kann also nicht in eine Drehbewegung umgewandelt werden. Darum haben Motoren entweder ein Schwungrad oder mindestens zwei Zylinder und sind die Kurbeln der Kurbelwelle immer verschoben angeordnet.

Schmelzer vom Rhein: Matrosenlehrling der Rheinschifffahrt.

15.07.13 SB